Einfluss von Gusshautrandzonen auf die Schwingfestigkeit von Gusseisen mit Kugelgrafit

Innenliegende, nicht bearbeitbare Gusshautrandzonen: ein bisher wenig beforschter Aspekt der Lebensdauerprognose von Bauteilen. FOTO: RWTH AACHEN

 

VON CHRISTOPH BLEICHER, TOBIAS MELZ UND KIM BERGER, DARMSTADT UND ADALBERT KUTZ UND ANDREAS BÜHRIG-POLACZEK, AACHEN


Während für außen liegende Gusshäute bei Bauteilen aus Gusseisen mit Kugelgrafit (GJS) verschiedene Nachbehandlungsverfahren wie Strahlen oder Randschichthärten eingesetzt werden, um die Schwingfestigkeit bzw. Lebensdauer zyklisch beanspruchter Komponenten zu steigern, gibt es nach wie vor Herausforderungen bei der Lebensdauerbeurteilung von innen liegenden Gusshäuten. Vor diesem Hintergrund wurde die Schwingfestigkeit von GJS unter Berücksichtigung von nicht nachbearbeitbaren Gusshautrandzonen untersucht.

 

Das zyklische Werkstoffverhalten für bestehende Auslegungskonzepte wird bisher mit Kennwerten von allseitig bearbeiteten Proben beschrieben und die Gusshaut dabei fast ausschließlich als Oberflächenrauheit in Form von Abschlagsfaktoren, wie dem Rauheitsfaktor KR,σ der FKM-Richtlinie, berücksichtigt. Diese vernachlässigen jedoch den Einfluss von Ungänzen wie inhomogene Mikrostrukturen, Drosseinschlüsse, Poren etc. in der Randschicht des Gussbauteils. Somit kann keine Beurteilung der Schwingfestigkeit auf Basis der tatsächlich vorliegenden Randschichtdicke erfolgen, da dies eine Beschreibung des zyklischen Werkstoffverhaltens des Grundwerkstoffes mit der überlagerten Randzone inklusive der Entartungen erfordert. Im Rahmen des AiF-Vorhabens „Gusshaut“ wurde in Zusammenarbeit des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF), des Fachgebiets Systemzuverlässigkeit, Adaptronik und Maschinenakustik SAM der TU Darmstadt sowie des Gießerei-Instituts der RWTH Aachen neben der Analyse der Gusshautrandzone hinsichtlich ihrer Entstehung und typischer Ausprägungsformen auch ihr Einfluss auf die Betriebsfestigkeit eingehend untersucht und beschrieben.

 

 

Zunächst wurden am Gießerei-Institut der RWTH Aachen typische, praxisnahe Gusshautrandzone und deren Ausprägungsformen anhand von Probestücken identifiziert. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Dokumentation der Randzonenzustände am Bauteil in Abhängigkeit vom Grundwerkstoff und dem verwendeten Formstoff-Binder-System. Hierfür wurden durch die beteiligten Projektpartner Abschnitte von Gussbauteilen unterschiedlichster Abmessungen aus der Serie zur Verfügung gestellt, die aus den Grundwerkstoffen EN-GJS-400-15, EN-GJS-500-14 oder EN-GJS-700-2 bestanden und Gusshautrandzonen aufwiesen. Dabei zeigte sich, dass abhängig vom Bindersystem im Wesentlichen vier formstoffbedingte Randzonenzustände auftreten: Grafitdegenerationen von Kugeln zu Lamellen (Randentartung), Verarmung an Kohlenstoff (Randentkohlung) sowie die Änderung der Eisenmatrix (Perlit- und Ferritsaum).

Die Dicke der Randschicht ist neben den formstofftechnischen Einflüssen primär von den thermischen Randbedingungen wie Wanddicke und Gießtemperatur abhängig. Die verwendete GJS-Legierung hat abgesehen vom eingestellten Restmagnesiumgehalt keinen Einfluss. Während die Randzonenzustände Randentkohlung, Perlitsaum und Ferritsaum überwiegend bei der Verwendung von Grünsand auftreten und nur geringe Schichtdicken von maximal 200 μm erreichen, weisen Randentartungen weit höhere Größenskalen auf. Insbesondere bei dickwandigen, handgeformten Bauteilen können Schichtdicken von über 10 mm auftreten. Aufgrund der dadurch bedingten starken Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften und des omnipräsenten Auftretens des Randzonenzustandes bei bentonit- und kaltharzbasierten Bindersystemen wurde der Fokus der Untersuchungen auf die Randentartungen gelegt. Um deren Einfluss auf die zyklischen Werkstoffeigenschaften von GJS darstellen zu können, wurden Gussrohlinge mit definierten Randschichten hergestellt. Ziel war hierbei die Einstellung einer möglichst homogenen Randentartung mit einer Schichtdicke von mindestens 400 μm bei einem gleichzeitig trennscharfen Übergang vom lamellaren Grafit im Randgefüge zum nodularen Grafit im Grundgefüge. Die eingestellten Randgefüge sind exemplarisch für die Gussrohlinge aus EN-GJS-400-15 in Bild 3 dargestellt (s. Gesamtbeitrag).

Zunächst wurden Proben mit einer möglichst geringen Randschicht erzeugt , die eine Charakterisierung des Grundwerkstoffes und des Einflusses der Rauheit ermöglichen. Die Proben mit Randentartung wurden im Gusszustand zyklisch beansprucht, um den Einfluss einer real auftretenden Entartung in Zusammenhang mit dem Spannungsgradienten und dem unter der Randzone vorliegenden Grundwerkstoff darzustellen. Bedingt durch die Änderung der Grafitmorphologie und die Aufnahme von Schwefel und Sauerstoff im Randbereich des Gussstückes wird die Randentartung oftmals auch von einer Änderung der Matrix begleitet. In diesem Fall bildet sich im Gegensatz zum ferritischen Grundgefüge eine perlitische Randschicht mit Lamellengrafit aus. Um aber ausschließlich den Einfluss der Grafitmorphologie des Randbereiches darstellen zu können, wurden zusätzlich Proben mit Randentartung bis zur Einstellung einer vollständig ferritischen Randschicht weichgeglüht. Prozessbedingt war das Einstellen einer vollständig homogenen Randentartung nicht möglich.

Weitere Informationen

Dr.-Ing. Christoph Bleicher
Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF
E-Mail: info(at)lbf.fraunhofer.de
Internet: www.lbf.fraunhofer.de

Kim Bergner M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Tobias Melz
Systemzuverlässigkeit und Maschinenakustik SAM
TU Darmstadt,
E-Mail: info(at)sam.tu-darmstadt.de
Internet: www.sam.tu-darmstadt.de

Adalbert Kutz M.Sc., Univ. Prof. Dr.-Ing. Andreas Bührig-Polaczek
Gießerei-Institut der RWTH Aachen
E-Mail: sekretariat(at)gi.rwth-aachen.de
Internet: www.gi.rwth-aachen.de