Feinguss kann Leben retten

Graphische Darstellung einer Hüftendoprothese in einem menschlichen Körper. (Foto: AdobeStock)
VON ROBERT PITEREK, DÜSSELDORF
Vacucast in Berlin, ein Betrieb der LINK Holding GmbH, gießt Implantate, die weltweit in Operationssälen beim Gelenkersatz verwendet werden. Geschäftsführer Tonguc Sahin führt eine Ärztegruppe durch seine Feingießerei und zeigt ihnen den Herstellungsprozess der anspruchsvollen Produkte – die bisweilen sogar Leben retten können.
Ärztevisite bei Vacucast in Berlin. Geschäftsführer Tonguc Sahin hat heute eine Gruppe Ärzte zu Besuch, die allesamt Spezialisten beim Einsatz sogenannter Endoprothesen sind und sich hier bei einer Betriebsbesichtigung über den Fertigungsprozess informieren möchten. Die versammelten Mediziner stammen aus allen Teilen Deutschlands und setzen die Prothesen im Operationssaal regelmäßig ein, um geschädigte Gelenke ganz oder teilweise zu ersetzen. Es ist ein mittlerweile etabliertes, kontinuierlich wachsendes Geschäftsfeld, in dem 2012 weltweit 43,1 Milliarden US-Dollar umgesetzt wurden. Über 40 Prozent machen dabei jeweils Knie- und Hüftendoprothesen aus, die auch bei Vacucast überwiegend hergestellt werden.
Die kritischen Blicke der Ärzte sind jetzt gespannt auf Sahin gerichtet, der ein handtellergroßes gebogenes Metallteil herumreicht – eine künstliche Schädeldecke aus Titan. Ein Pendant davon wurde einem schwerverletzen Motorradfahrer eingesetzt. Die Operation hat sein Leben gerettet.
Tonguc Sahin, Diplomingenieur der Werkstoffwissenschaften aus der türkischen Mittelmeerstadt Anamur und seit 1995 in Deutschland, holt nun aus und berichtet über die Anfänge des Titangießens bei Vacucast. Der Werkstoff begeisterte die Gründer des 1974 aus der Taufe gehobenen Unternehmens von Anfang an, auch wenn ihre Absicht den Werkstoff zu gießen statt zu schmieden zunächst auf Skepsis stieß. „Jeder wollte mit dem Material zu tun haben, das zunächst beim Militär und später in der zivilen Luftfahrt Anwendung fand“, berichtet Sahin. Vorteile: Leichtigkeit bei zugleich exzellenter Festigkeit. „Heute stellen wir aus dem Werkstoff auch dynamisch belastbare künstliche Hüftschäfte mit unserer Kaltwand-Vakuumgießanlage her, die Sie gleich sehen werden“, kündigt er an. Ein Nicken geht durch die Runde. Doch zuerst geleitet Sahin die Ärztegruppe hinunter ins Werk, um ihnen den Feingießprozess von Anfang an darzulegen.
In einem etwa 70 Quadratmeter großen Raum stehen drei Wachsspritzgießanlagen. In dem Zimmer davor arbeiten mehrere Personen an Wachsmodellen, denen sie den letzten Schliff geben oder sie zu Trauben vereinen. Ein Mitarbeiter prüft mit einer Lampe, ob die Trauben richtig verbunden sind. Die Ärzte verteilen sich im Raum und schauen den Arbeitern über die Schultern. Einige greifen zu ihren Lesebrillen, um die Negative der Gussteile genauestens in Augenschein zu nehmen. Erneut ergreift Sahin das Wort und macht die bunte Ärzteschar mit dem hier eingesetzten Fertigungsverfahren vertraut – dem Wachsausschmelzverfahren mit verlorener Form. Er erzählt, dass die Modelle nach 3-D-Datensätzen in den Wachsspritzgießanlagen produziert werden und Vacucast für die Spritzgießformen mit einem externen Fomenbauer zusammenarbeitet. Die Datensätze für die Modellfertigung erhält das Unternehmen regelmäßig aus der Firmenzentrale der Vacucast-Muttergesellschaft LINK in Hamburg, wo 45 Entwicklungsingenieure tätig sind. Das familiengeführte Medizintechnikunternehmen hat Vacucast 1997 von seinem Gründer übernommen. Mit rund 1000 Mitarbeitern stellt die Firma Endoprothesen aus gegossenen, geschmiedeten und mittlerweile auch gedruckten Rohlingen her.