Sustainable Finance

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Aufgrund immer strengerer Kriterien bei der Finanzierung stellt sich die Frage, wie Unternehmen die notwendige Transparenz erreichen, um potenzielle Investoren von der Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftsaktivitäten zu überzeugen. Hier setzt Sustainable Finance an. Dabei geht es um die ganzheitliche Bewertung von Wirtschaftsaktivitäten und ihre ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen. Dieser Beitrag zeigt auf, warum die deutsche Gießerei-Industrie für den Aufbau eines nachhaltige Finanzwirtschaft wichtig ist.

Nachhaltigkeit ist nicht erst seit den Fridays For Future-Demonstrationen in der Gießereibranche und damit auch beim BDG auf der Agenda. Seit jeher arbeiten Gießereien mit Schrotten (oft mit bis zu 90 %) als Haupteinsatzmaterial und sind somit echte Upcycler. Auf europäischer Ebene hat Ursula von der Leyen als neue Kommissions-Präsidentin in ihrer Bewerbungsrede in die gleiche Kerbe geschlagen und einen neuen „Green Deal für Europa“ ausgerufen. Zuletzt hat das EU-Parlament am 28.11.2019 mit großer Mehrheit den „Klimanotstand“ proklamiert, um die Dringlichkeit zum Handeln weiter zu unterstreichen. Unabhängig von dem fragwürdigen alleinigen Fokus auf CO2 in der Öffentlichkeit nehmen sich immer mehr Investoren des Themas nachhaltige Finanzierung an, auch in der Gießerei-Industrie.

Die KSM Casting Group veröffentlichte beispielsweise erstmals in der Branche für 2018 einen Nachhaltigkeitsbericht. Die London Metal Exchange (LME) wurde jüngst aufgefordert, zukünftig den CO2-Fußabdruck von gehandeltem Aluminium offen zu legen. Die weltweit führenden Metallbörse hat sich zudem verpflichtet, ein Nachhaltigkeitsprofil zu erstellen, um die ökologischen sowie sozialen Folgen der Metallgewinnung transparenter zu gestalten. Ein weiterer Ansatz aus der Industrie ist die von u.a. Nespresso, Alcoa und Rio Tinto gegründete Aluminium Stewardship Initiative (ASI), die eine lückenlose Nachvollziehbarkeit der Lieferkette, vom Bauxitabbau bis zur Entsorgung des Produkts, sicherstellen möchte. Man sieht: Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Praxis angekommen.

 

Eine bisher an der Öffentlichkeit weitgehend vorbeigegangene Komponente des Klimaschutzes stellt die (positive) Lenkungswirkung des Finanzkapitals und somit der Investitionsbereitschaft in nachhaltige Projekte von Banken sowie institutionellen Investoren dar. Ihnen wurde in der Vergangenheit regelmäßig zur Last gelegt, soziale sowie ökologische Konsequenzen ihrer Investitionen den Renditeerwartungen hintenanzustellen. In jüngster Zeit hat allerdings durch die verheerenden Umweltkatastrophen auch bei ihnen ein schrittweises Umdenken eingesetzt, da die unvorhersehbaren Risiken gravierende finanzielle Nachteile nach sich ziehen können. So haben die Dürre und die daraus resultierende Nichtbefahrbarkeit des Rheins der BASF in 2018 einen mehrstelligen Millionenschaden beschert, ganz zu schweigen von den durch Rückversicherer zu zahlenden Entschädigungen für Waldbrände, Überschwemmungen oder andere Katastrophen. Zuletzt stand Venedig tagelang unter Wasser. Doch was bedeutet das für Gießereien?

Die ökonomischen Nachteile sind derart gravierend, dass Absatzmärkte wegzubrechen drohen und eine Deckung der Vermögenswerte durch steigende Versicherungspolicen viele Unternehmen vor finanzielle Herausforderungen stellen. Für die Gießerei-Industrie stellen unter anderem die Verknappung der Sanddeponien, die öffentliche Kritik an den Arbeitsbedingungen und Umweltschäden in den Rohstoffmienen sowie die CO2-Emissionen durch Gas- und Koksverbrennung langfristige Risiken dar.

Sustainable Finance

Im Kern geht es bei Sustainable Finance um die ganzheitliche Bewertung von Wirtschaftsaktivitäten und ihre ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen (im Englischen werden die Begriffe environmental, social und governmental, kurz: ESG-Kriterien, verwendet). Während Green Finance lediglich die ökologische Dimension der Wirtschaftsaktivität, z.B. Verunreinigung des Wassers durch den Abbau von Bauxit oder Silizium, betrachtet, berücksichtigen die anderen beiden Kriterien zudem Nachhaltigkeitsaspekte wie die Arbeitsbedingungen (sozial) oder die langfristige Ausrichtung des Unternehmens (finanziell), mit anderen Worten: die umfassende Nachhaltigkeit (Sustainability) einer Wirtschaftsaktivität. Da viele Gießereien in ländlichen Regionen verwurzelt sind und ein Großteil weiterhin als Familienunternehmen mit langfristiger Orientierung deklariert werden können, sind die Bereiche soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit für den Mittelstand seit jeher von hoher Wichtigkeit. Dies zeigt auch, dass sich das Konzept um Sustainable Finance primär an Investoren sowie internationale Großkonzerne richtet. Nichtsdestotrotz sieht sich die deutsche Gießerei-Industrie im Bereich „Klimatische Nachhaltigkeit“, beispielsweise beim Betrieb von Kupolöfen, dem Schmelzen mit Erdgas oder der Sandentsorgung, mit großen Herausforderungen konfrontiert.

Die größte internationale Investorenvereinigung mit dem Fokus auf nachhaltige Projekte ist die bereits 2006 ins Leben gerufene Principles for Responsible Investments (PRI). Sie verwaltet mittlerweile 59 Billionen US-Dollar und besteht aus über 1400 Mitgliedern verteilt über 50 Länder. Ihre Investitionen sind konsequent den ESG-Kriterien verschrieben. Aufsehen erregte eine Ankündigung von BlackRock, einer der weltweit größten Investoren, der in der Vergangenheit häufig für seine einzig auf Rendite getrimmte Anlagestrategie kritisiert wurde, sich aufgrund der zunehmenden Risiken aus Geschäften zurückziehen, die nicht den ESG-Kriterien entsprechen. Das unternehmerische Kalkül der institutionellen Investoren ist jedoch unverändert: Klimaschädliche Unternehmen stehen zunehmend öffentlich unter Druck, die Zukunftsfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle wird insbesondere von der jüngeren Generation hinterfragt, sie verlieren Umsätze und Börsenwert und stellen damit ein substanzielles finanzielles Risiko dar.

Nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der EU

Obwohl sich die Investitionen in nachhaltige Fonds und Anleihen in den vergangenen Jahren mehr als verzehnfacht haben und viele Unternehmen ihre Investitionen entlang einer Nachhaltigkeitsstrategie ausrichten, fehlen aktuell jährlich europaweit rund 175 Mrd. Euro zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele.

Aus diesem Grund plant die EU-Kommission die Etablierung eines zentralen nachhaltigen Finanzsystems, das sich an den ESG-Kriterien orientiert und die Ergebnisse des Pariser Klimaabkommens sowie die 17 „Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN“ (Sustainable Development Goals) berücksichtigt. Hauptziel der Sustainable Finance Initiative ist die Beantwortung der folgenden Frage: Wie lassen sich Investoren motivieren, ihr Geld in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu investieren, ohne dass es zu gezielten Verboten von Prozessen oder ganzer Unternehmen kommt? Und wie können Unternehmen im Gegenzug eine Transparenz erreichen, um mögliche Investoren von der Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftsaktivitäten zu überzeugen und ausreichend zu informieren.

Das Hauptaugenmerk liegt allerdings auf den Banken und institutionellen Investoren, repräsentieren sie doch über 91 % der in Deutschland gehandelten ESG-Papiere, ein Großteil emittiert von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Obwohl Gießereien hier auf den ersten Blick nicht im Mittelpunkt stehen, haben sie, bzw. ihre Produkte, eine zentrale Rolle beim Aufbau einer nachhaltigen Finanzwirtschaft, wie ein genauerer Blick auf die EU-Taxonomie zeigt.

Technischer Report zur EU-Taxonomie der Technischen Experten-Gruppe (TEG) auf EU-Ebene

Die Technical Expert Group (TEG) on Sustainable Finance setzt sich aus Experten aus Politik, Industrie, Banken, Versicherungen und Wissenschaft zusammen und hat die wichtigsten Punkte zur EU-Taxonomie am 18. Juni 2019 dem EU-Parlament vorgestellt. Obwohl das Ziel der TEG die Konkretisierung der nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten sowie die Ableitung möglicher erster Maßnahmen war, bleibt der Taxonomie-Bericht auf seinen 414 Seiten an vielen Stellen unkonkret. Ein Hauptkritikpunkt ist der zu starke Fokus auf Verkehr und Energiegewinnung, wohingegen die möglichen Emissions-Grenzwerte für andere (industrielle) Wirtschaftsaktivitäten weiterhin offen bleiben. Einigen konnte man sich dennoch auf die Verfolgung der folgenden sechs Hauptziele.

Die TEG fordert ausdrücklich, dass eine nachhaltige Wirtschaftsaktivität mindestens eines der sechs Ziele signifikant unterstützt und zugleich nicht im Widerspruch mit den anderen fünf Zielen steht. Die Verstromung von Kohle sowie die Produktion von Atomenergie sind explizit ausgeschlossen. Aus der EU-Taxonomie wird eine weitere Sache deutlich: Es sollen keine Unternehmen oder Industrien als grundsätzlich nachhaltig oder nicht nachhaltig klassifiziert werden. Vielmehr geht es um die Bewertung der Nachhaltigkeit von einzelnen Wirtschaftsaktivitäten und um eine grundsätzliche Einteilung in drei Kategorien: klimaneutrale (z.B. Betrieb von Solaranlagen), klimaschonende (z.B. Hybridfahrzeuge) und unterstützende (z.B. Biogasherstellung) Wirtschaftsaktivitäten. In der letztgenannten Kategorie verweist die EU-Taxonomie explizit auf die Rolle der Gießerei-Industrie als „Enabler“ für die nachhaltige Transformation. Nicht durch andere Verfahren substituierbare Produkte sind beispielsweise leistungsfähige Pumpen oder Turbinen aus Titanium-Feinguss für Wasserkraftwerke oder die Renaturierung von Gewässern sowie Windkraftkomponenten. Diese ausdrücklich in der EU-Taxonomie erwähnten Anwendungen zeigen die Unverzichtbarkeit deutscher Gießereien für die Schaffung klimaneutraler Produkte.

Für die Industrie ist es dennoch bedenklich, dass das EU-Parlament in den Verhandlungen zum Entwurf der Taxonomie mit teilweise deutlich umfangreicheren Vorschriften aufwartet, als es der Initialvorschlag der TEG vorsieht. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich das EU-Parlament final positionieren wird, da einige EU-Länder bereits ihren Widerstand deutlich gemacht haben. Ein Hauptgrund für die Ablehnung ist, dass sich insbesondere osteuropäische Länder mit hohem Anteil an Gas und Kohle am Energiemix übergangen sehen. Bei Eintreten der Verordnung würde Kraftwerken mit fossilen Energieträgern die Finanzierung erheblich erschweren. Ein Schritt in diese Richtung zeigt die Entscheidung der Europäischen Investitionsbank (EIB) vom 15.11.2019: Zukünftig werde man sich massiv aus der Förderung von Gas- und Kohleprojekten verabschieden und fast ausschließlich emissionsfreie Energieprojekte finanzieren. Für viele Kraftwerksbetreiber wird diese Entscheidung weitreichende finanzielle Folgen haben.

Sustainable Finance als Chance begreifen

Aktuell befindet sich der Entwurf in der Diskussion zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Rat (sog. Trilog-Verhandlung). Der Zeitplan ist ambitioniert, möchte man doch bereits Ende 2019 die Verhandlungen abgeschlossen haben. Mit Blick auf die Rechtsverbindlichkeit der EU-Taxonomie zu nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten wird es auf die endgültige Vereinbarung zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament ankommen.

Wichtig ist zu verstehen, dass die EU-Taxonomie kein Urteil über Unternehmen oder Produkte fällt, sondern die jeweilige Wirtschaftsaktivität bewertet und die Möglichkeit der Finanzierung evaluiert. Das Konstrukt soll nach Einführung dynamisch anpassbar bleiben und den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen.

Positiv anzumerken ist der in der EU-Taxonomie vorgesehene „Best-in-Progress“-Ansatz, also die Nachhaltigkeitsbemühungen an der positiven Veränderung festzumachen. Nur so lässt sich die Gießerei-Industrie modernisieren, ohne dass deren Bemühungen bereits im Keim erstickt werden und womöglich wichtige „Enabler“ aus dem Markt ausscheiden. Dieser Punkt ist für die deutsche Gießerei-Industrie entscheidend, da die steigenden Strompreise wenig Raum für Investitionen lassen. Zudem lässt die durchschnittliche Umsatzrendite von 1,6 % der Branche kaum Luft zum Atmen.

Fest steht auch: Die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen in nachhaltige Projekte wird leichter. Das hat die Entscheidung der Europäischen Investitionsbank (EIB) bereits gezeigt. Es wird aller Voraussicht nach allerdings zusätzlich zu einem Auseinanderdriften von bestehenden gesetzlichen Umweltauflagen (z.B. Arbeitsschutz, Emissionsschutz) und den Finanzierungskriterien der EU-Taxonomie kommen. Mit anderen Worten: Obwohl Emissions-Auflagen erfüllt sind, kann die Refinanzierung schwieriger werden, da die Kriterien nicht die EU-Taxonomie erfüllen. Offen bleibt somit, wie die EU-Taxonomie beispielsweise die Revision der BREF integrieren wird. Der Bedarf an nicht-finanziellen Kennzahlen und der Aufwand zur Erhebung werden sich aller Voraussicht nach erweitern. Es ist deshalb gut denkbar, dass große Kunden die EU-Taxonomie als Vorlage für zukünftige Lieferantenanforderungen nehmen werden, um die eigene Finanzierungssicherheit bzgl. nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten nicht zu gefährden.

Fazit

In Summe wird es für deutsche Gießereien zukünftig entscheidend sein, wie ihre Lieferkette und die daran angelehnte Finanzierung strukturiert sind bzw. ob diese den Kunden gerecht werden, wenn diese wiederum die Nachhaltigkeitskriterien der EU-Taxonomie erfüllen müssen. Die deutschen Gießereien müssen hierbei ihre originären Stärken ausspielen: hoher Anteil an Recycling von Schrotten, die Schaffung hochinnovativer und ressourcenschonender Produkte sowie die Verantwortung für Region und Beschäftigte. Erst im November wurde der steigende Verpackungsmüll in Deutschland kritisiert. Insbesondere im Kunststoff liegt die Recyclingquote bei unter 50 %, wohingegen 92,2 % der Stahlabfälle recycelt werden. Dieses Potenzial muss auch in der Diskussion um Sustainable Finance Anklang finden.

Gießereien haben nicht nur eine Funktion als „Enabler“, sondern betreiben seit jeher echtes „Upcycling“, nicht nur durch den Einsatz von Schrotten, sondern durch die Produktion von nachhaltigen Produkten, die nach ihrer Verwendung wieder eingeschmolzen werden können.

Dr. Fynn-Willem Lohe, Referent Betriebswirtschaft, BDG