Aus kleinen Mengen Prozessgas Strom gewinnen

Von Dagmar Dübbelde, Amberg

Erschienen in GIESSEREI 07/2012

 

Die Zeit drängt. Seit 30 Jahren steigt die globale Temperatur unaufhaltsam an. Das Jahr 2010 etwa war eines der heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die fortgesetzte Häufung von extremen Naturkatastrophen spricht eine deutliche Sprache. Die Weltgemeinschaft hat nun beim Klimagipfel in Cancun einen kleinen Schritt vorwärts getan und sich offiziell auf die Begrenzung der globalen Erderwärmung um höchstens 2 °C festgelegt. In der Europäischen Union gibt es Bestrebungen, die Emission des Klimakillers CO2 bis 2020 nicht nur um 20 %, sondern um 30 % zu reduzieren, und dieses Ziel verbindlich festzuschreiben. Forschung und Industrie sind aufgerufen, innovative Projekte zum Klimaschutz aufzulegen.

Ansatzpunkte gibt es en masse. In vielen industriellen Prozessen wird Energie freigesetzt und verschwendet. Im Kampf gegen die Erderwärmung ist die Verwertung ungenutzter Potentiale ein bedeutsamer Baustein. Ein ehrgeiziges Forschungsprojekt auf dem Gebiet der Energierückgewinnung, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert wird, steht jetzt bei der Deprag Schulz GmbH u. Co., Amberg, kurz vor der Serienreife. Geschäftsführer Dr.-Ing. Rolf Pfeiffer erläutert die zu Grunde liegende Idee: „In vielen industriellen Prozessen entweicht Prozessgas ungenutzt in die Atmosphäre. Unser Ausgangspunkt war, diese Gase energetisch nutzbar zu machen.“ Dabei ist die Rückgewinnung von Energie aus Prozessgasen nicht neu. Dr. Pfeiffer: „Neu ist aber, dass mit unserer Entwicklung in einer kleinen, kompakten, dezentralen Energierückgewinnungsanlage  auch geringe Mengen von Restenergie im Leistungsbereich von 5 bis 20 kW in Strom umgewandelt werden können.“

Als Resultat der umfangreichen Forschungsarbeiten stehen nun erste Prototypen des innovativen Deprag-Turbinengenerators fertig im Entwicklungslabor (Bild 1). Das Patent ist angemeldet und Testreihen mit den Prototypen sind erfolgreich abgeschlossen. Dr. Pfeiffer: „Wir können nun mit unserem Produkt in Serie gehen und sind auf der Suche nach Partnern, die dieses innovative System zur Energierückgewinnung in ihrer Anlage nutzen wollen. Unser Rückgewinnungssystem lässt sich für eine Vielzahl von Anwendungen einsetzen, um Prozessgase zu verstromen oder auch ungenutzte Abwärme zu verwerten.“

 

Schon in den ersten Studien legte sich das Deprag-Team um Entwicklungsleiter Gerd Zinn fest: Das neue Energierückgewinnungssystem sollte ein kleines, einfaches und robustes System für den Bereich zwischen 5 und 20 kW sein, auf den Einsatz eines Getriebes wollte man aus Kosten- und Wartungsgründen verzichten. Das aber erwies sich für die Entwickler als die größte Herausforderung. Denn durch die physikalischen Gegebenheiten und den kleinen Durchmesser der Turbinenräder ergibt sich eine relativ hohe Drehzahl der Turbine und damit auch des Generators. Die Festigkeitseigenschaften der geeigneten Werkstoffe setzen hier deutliche Grenzen. Kein  handelsüblicher Generator war klein genug und erfüllte dabei die Ansprüche an die Dauerfestigkeit, um der berechneten Drehzahl von um die 40 000 Umdrehungen pro Minute standzuhalten. Daraus entstand die Notwendigkeit, einen geeigneten elektrischen Generator selbst zu entwickeln. Vor allem die Dauerfestigkeit des Rotors stand dabei im Fokus der Ingenieure. Als Ergebnis der intensiven Forschungsarbeit entstand ein kompaktes Gesamtsystem in zwei Varianten, basierend auf einer permanent erregten Synchronmaschine für die Stromerzeugung.

Und so sieht der Prototyp von Deprag aus: Eine kompakte Einheit aus einer Mikro- Expansionsturbine mit einem elektrischen Generator erzeugt Strom aus Gas. Ohne den dazugehörigen elektrischen Schaltschrank ist der Turbinengenerator nicht viel größer als eine Schuhschachtel und kann nach dem Plug & Earn-Prinzip dezentral dort eingesetzt werden, wo Gas entweder ungenutzt den industriellen Prozess verlässt (Bild 2) oder von einem höheren Druckniveau auf ein niedrigeres gebracht wird. Die dabei frei werdende Druckenergie wird bisher nur in wenigen Fällen zur Gewinnung von Strom verwendet.

 

Der Turbinengenerator wandelt die im Arbeitsfluid enthaltene Energie in Strom um. Gas strömt in die Turbine ein, wird durch Düsen gepresst und beschleunigt. Wenn es auf die Beschaufelung der Turbine trifft und umgelenkt wird, gibt es seine Energie ab. Die kinetische Energie wird im Generator in elektrische Energie umgewandelt. In diesem innovativen System stellen Turbine und elektrischer Generator eine kompakte Einheit dar, sie besitzen eine gemeinsame Welle. Die Folge: Dreht sich die Turbine, dreht sich gleichermaßen auch der Rotor des Generators – elektrische Energie wird erzeugt!

Energierückgewinnung mit dem Turbinengenerator ist in vielen Industriezweigen denkbar. Bei der Schmelze von Metallen beispielsweise werden die Schmelzwannen durch Druckluft gekühlt. Die Druckluft strömt durch Kühlkanäle und nimmt Wärme auf. Anschließend wird sie normalerweise ungenutzt in die Atmosphäre entlassen. Mit dem neuen Turbinengenerator könnte sie – eigentlich ein Abfallprodukt – dabei gewinnbringend weiterverwendet werden: Die aus der Wärme aufgenommene Energie lässt sich
mit der Mikroexpansionsturbine und dem integrierten Generator in elektrischen Strom umwandeln und ins Stromnetz einspeisen.

In großen Biogasanlagen und Blockheizkraftwerken wurde bereits bisher auf Basis des ORC-Prozesses (Organic Rankine Cycle) Restenergie verstromt, allerdings lag dort der Leistungsbereich der Anlagen zwischen 200 und 1500 kW. Doch immer mehr kleinere Biogasanlagen und Blockheizkraftwerke entstehen heute. Der elektrische Wirkungsgrad solcher Anlagen lässt sich mit dem neuen Turbinengenerator wirkungsvoll optimieren, indem auch kleinere Mengen Abwärme in einem ORC-Rückgewinnungsprozess effizient genutzt werden können. So kann der Gesamtwirkungsgrad dieser Anlagen unter Umständen auf mehr als 45 % gesteigert werden: Damit wird lt. EEG ein Technologiebonus von 2 ct/kWh für die Gesamtanlage erreicht.

Erdgas wird über Tausende von Kilometern mit hohem Druck durch Pipelines aus den Förderländern zum Verbraucher gepumpt. Zur Einspeisung in die regionalen Netze, in denen ein geringerer Druck herrscht, muss der Druck herabgesetzt, das Gas entspannt werden. Auch die Stadtwerke vermindern noch einmal den Gasdruck, bevor das Erdgas in die privaten Haushalte gelangt. Bei der Transformation von Drücken in Gasleitungen geht dabei in der Ferngastechnik Energie verloren, die nach Überzeugung der Deprag-Ingenieure mit dem Turbinengenerator ohne großen Aufwand in elektrischen Strom umgewandelt werden könnte.

Geschäftsführer Dr. Pfeiffer sieht ein großes Marktpotential für den Turbinengenerator und fasst die Vorzüge zusammen: „Auch kleinere Mengen Restenergie lassen sich nun mit dem kompakten Rückgewinnungssystem kostengünstig in Strom umwandeln.“ Der ökologische Nutzen solcher Energierückgewinnung zahlt sich dabei auch in barer Münze aus. Die Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bietet einen zusätzlichen Anreiz. Dabei sollen auch die Investitionskosten erschwinglich bleiben. Dr. Pfeiffer: „Es ist durchaus vorstellbar, dass wir die Turbinengenerator-Einheit für 10 kW bei entsprechender Stückzahl später einmal unter 10 000 Euro anbieten können.“

Dagmar Dübbelde, Deprag Schulz GmbH u. Co., Amberg

 

Diesen Artikel als PDF downloaden.