Wie kann die Gießerei-Industrie die Klimaziele erreichen?

Hauptpanel

Das Nachmittagspanel läutete den Kern des Zukunftstags ein. Eingeleitet von einem Impulsvortrag von Mona Neubaur von den Grünen, disku-tierten Vertreter aus Branche sowie Politik und Verbänden, wie die Gießerei-Industrie die Klimaziele erreichen kann. Es wurde ausgeteilt und eingesteckt. Einigkeit bestand darin, dass die Branche auf einem guten Weg ist – und konkrete Unterstützung aus der Politik benötigt. 

 

In ihrem Impulsvortrag zu Energiewende und Klimaschutz gab sich die NRW-Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Mona Neubaur von Anfang an offen für den Dialog: „Wir sind uns selbst nicht mehr genug, sondern diskutieren und handeln Konzepte aus und entwickeln uns weiter“, versicherte sie, bemüht Skeptiker am Kurs der Ökopartei zu besänftigen. In der Sache blieb sie hart und bat darum, beim Weg in die Klimaneutralität nicht mehr über das „ob“, sondern nur über das „wie“ zu streiten. Im Zuge dessen verwies sie auf thyssenkrupp, wo sich kürzlich die gesamte Führungsriege zur CO2-Reduktion von 30 Prozent bis 2030 verpflichtet hatte. Die Politikerin machte im Anschluss deutlich, dass ihre Partei den Klimaschutz nicht nur aus gesellschaftlicher Verantwortung heraus betreibt, sondern ihn auch als Geschäftsmodell sieht. Hier brachte sie Guss als Stützpfeiler der Windenergie ins Gespräch und sicherte der Branche günstigeren Strom und Entlastungen im Gegenzug für den klimafreundlichen Gießereiumbau zu. Die Transformation zur Klimaneutralität führt ihr zufolge zu nichts Geringerem als einem Strukturwandel. „Manche Regionen müssen sich komplett neu erfinden, wir planen 15 Milliarden Euro im Jahr für wettbewerbsfähigen Strukturwandel ein“, sagte sie. Die Investitionen sollen aus einem Fonds kommen, der nicht an eine einzige Legislaturperiode gebunden ist, sondern langfristig gilt. Befürchtungen zu schwindender Wettbewerbsfähigkeit setzte sie entgegen, dass künftig Importprodukte in die EU „Quoten von CO2-neutralen Anteilen“ haben müssten.

 

Zurück geht nicht – auch nicht in die Kohle

Die Diskussionsrunde mit Neubaur, Lukas Maggioni, Fridays for Future, Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer BDI (aus Berlin zugeschaltet), sowie den Gießern Dr. Christiane Heunisch-Grotz und Dr. Ludger Ohm folgte ihrem Impuls. Dr. Heunisch-Grotz kritisierte den zögerlichen Ausbau der erneuerbaren Strominfrastruktur und fragte: „Atomstrom ist klimaneutral, warum sind die Grünen dagegen?“ Neubaur konterte mit den Ewigkeitskosten von Atomstrom und der „überdeutlichen Mehrheit“ in der Bevölkerung gegen die Atomenergie. „Zurück geht nicht, auch nicht in die Kohle“, zog sie eine rote Linie. Stattdessen müsse es einen Verbund erneuerbarer Energien in Europa und Kooperationen mit Nordafrika zur Gewinnung grünen Wasserstoffs geben. Was Fridays for Future-Aktivist Lukas Maggioni unterstützte. „Die billigsten Energieformen sind Wind und Sonne. Es spricht nichts dagegen, diese Energieträger hier bei uns auszubauen“, argumentierte er. Hierzu wurde BDI-Vertreter Holger Lösch virtuell zugeschaltet. „Wovon hängt eine erfolgreiche Transformation zu einer erneuerbaren Stromwirtschaft ab?“, fragte er und wies darauf hin, dass der größte Teil der erforderlichen Stromversorgung bei einem Anteil von jetzt 43 Prozent erneuerbarer Energie noch aussteht. „0-Emission ist unverzichtbar, aber verdammt schwierig“, zitierte er den Microsoft-Mitgründer Bill Gates. Um Wettbewerbsnachteile für Staaten wie Deutschland beim Weg in die CO2-Neutralität zu verhindern „müssen wir zu einer vergleichbaren Argumentation in den G-20-Staaten kommen“, forderte er. Neubaur stimmt ihm in Sachen internationalem Verhandlungsbedarf zu. 

 

Hoher Investitionsbedarf für Klimaziele

Zu konkreten Themenstellungen für Gießer gelangte die Diskussionsrunde durch die Frage nach der Zukunft von Kupolöfen, die Dr. Christiane Heunisch-Grotz stellte. Sie rechnete den mit 15 Millionen Euro sehr hohen Investitionsbedarf für den Austausch des Kupolofens bei Heunisch Guss vor. Statt des wirtschaftlichen Kupolofens müsste eine neue Halle mit zwei Induktionsöfen und 16 Millionen Kilowattstunden Strombedarf errichtet werden, so die Geschäftsführende Gesellschafterin von zwei deutschen und zwei tschechischen Gießereien und Bearbeitungsbetrieben. „Projekte dieser Art erfordern langjährige Genehmigungsverfahren“, kritisierte Heunisch-Grotz. „Wir bauen gerade eine Deponie – die Genehmigung dauert schon drei Jahre“, nannte sie ein Beispiel und verschaffte ihrer Sorge Ausdruck, dass bei solchen bürokratischen Hemmnissen auch der Weg in die Klimaneutralität viel zu lange dauern würde. Schließlich sei 2030 sogar von einem um 60 Prozent höheren Strombedarf gegenüber heute auszugehen. 

Energiekosten schlucken Gewinnmarge

Im Anschluss stellte Dr. Ohm, Geschäftsführer der Aluminiumsand- und Kokillengießerei Ohm & Häner, den massiv gestiegenen Energiekosten die niedrige Gewinnmarge in der Branche entgegen: Der Bedarf der 2008 neu gebauten Aluminiumsandgießerei von Ohm & Häner beträgt Ohm zufolge 25 Millionen Kilowattstunden Strom, dessen Preis seither von fünf auf 17 Cent gestiegen ist. Damit macht der Kostenanstieg eine Belastung von drei Prozent entsprechend der durchschnittlichen Gewinnmarge in der Branche aus. „Unsere Gießerei haben wir damit schon zwei Mal bezahlt“, beanstandete der Gießereimanager und ergänzte: „Diese Last zu schultern wird immer schwerer – wir hätten das Geld investieren können.“ Abschließend verwies er auf die Niederlande, wo der Industriestrompreis bei zehn Cent je Kilowattstunde liegt – ein Wettbe-werbsnachteil für die deutsche Industrie.

 

Zusage für Investitionsförderung

Neubaur gab sich in der Folge konziliant, gestand Fehler im Erneuerbare-Energien-Gesetz ein und würdigte den Induktionsofenbetrieb bei Ohm & Häner. „Es passiert ja schon viel“, so die Politikerin. Ihr Angebot: Wer bei der Klimaneutralität mitmacht, wird eine deutliche Reduktion der Umlage bekommen. Im Gegenzug bezeichnete Dr. Ohm den bereits hohen Anteil von erneuerbaren Energien im Strommix als ermutigenden Schritt in die richtige Richtung.

Dr. Heunisch-Grotz reichte das nicht: Ihr fehlte es an Planungssicherheit, zudem machte sie deutlich, dass die Produktion in der Tschechischen Republik um 25 Prozent billiger ist. „Nicht alle sind bereit, den Preis zu zahlen“, so die Unternehmerin und zielte damit auf die Gefahr einer Abwanderung von Industriebetrieben ab. Auch der BDG arbeitet an diesem eminent wichtigen Thema. Nötig sind unter anderem kalkulierbare und wettbewerbsfähige Industriestrompreise. Ansonsten wird die Gefahr einer Schwächung des industriellen Mittelstandes sehr schnell real. 

Was auch BDI-Mann Lösch unterstrich: „Mit einer geschwächten Industrie kommen wir nirgendwohin“, betonte er. „Politik hat doch das Recht zu sagen, macht euch auf den Weg. Ich glaube, es ist richtig, Anreize zu setzen und Investitionen für Transformationsprozesse einzufordern – die Gießereibranche profitiert ja auch davon“, entgegnete Neubaur. Der vierte im Diskussionskreis, Lukas Maggioni von Fridays for Future, bekam anschließend die Gelegenheit zu seinem ausführlichen Statement. Wie er die Diskussion um Klimaschutz einschätze, wollte Moderatorin Judith Schulte-Loh nun von ihm wissen. „Die Diskussion geht in die richtige Richtung, kommt nur 20 Jahre zu spät. Klimaneutralität für 2045 anzupeilen ist eigentlich auch nicht schnell genug“, so die Einschätzung des jungen Aktivisten. 

 

Fachkräfte werden knapp

Während sich BDG-Umweltreferentin Elke Radtke für das Einbringen von Zuschauerfragen in Stellung brachte, widmete sich die Runde abschließend dem Thema Fachkräfte. Dr. Ohm äußerte sich als erster zu dem Thema: acht bis zehn Millionen Menschen würden in Deutschland in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, in seinem Unternehmen arbeiteten Menschen aus vielen Ländern „ohne die wir nicht weiterexistieren können“. Er forderte die Politik dazu auf, die Bedingungen für die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer sicherzustellen. Bestätigung erhielt er von Christiane Heunisch-Grotz: „Bei uns arbeiten Menschen aus 19 Nationen.“ Das Anwerben von Fachkräften sei in Deutschland schwierig, in der Tschechischen Republik noch schwieriger. Ihre Überzeugung: „Wir konzentrieren uns zu stark auf Abitur und Studium. Da ist vieles schiefgelaufen.“

 

Sorgen im Chat: Stromverfügbarkeit und Stromtrasse 

Im Chat hatten sich viele Zuschauer skeptisch gezeigt, wie die Klimaneutralität mit den derzeitigen Mitteln gestemmt werden kann. Wo soll der Strom herkommen, wie sollen die Stromtrassen realisiert werden, lauteten die Fragen. Einig waren sich die Teilnehmer, dass Elektrifizierung der Königsweg ist und Wasserstoff  eine mögliche Lösung für den Schmelzbetrieb der Zukunft sein kann. „Die generelle Akzeptanz ist doch da. Um Windräder zu realisieren – besonders in Bayern – müsse Bürgerbeteiligung umgesetzt werden“, so Lukas Maggioni zum Ausbau der Windenergie. Neubaur verwies auf die Bundestagswahl im September. „Ich merke: „Wir wollen erneuerbare Energie. Helfen Sie uns dabei“, bat sie um Unterstützung aus der Branche. Ein schnellerer Ausbau der Windenergie könne durch die Beteiligung von Bürgern durch Windbausparverträge erfolgen, sagte sie.

 

Klares Konzept muss her

In den Schlussworten wurden Forderungen, aber auch Zuversicht geäußert. Dr. Ohm forderte eine neue Bundesregierung auf, die Trasse anzupacken. Dr. Heunisch-Grotz charakterisierte die Gießereibranche als innovativ und entwicklungsfähig. Viel Kreativität werde sich entwickeln, für die viele Investitionen erforderlich seien, so ihr Resümee. Lösch erneuerte seine Hoffnung auf Einigungen auf internationaler Ebene zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit und kündigte an: „Der Dialog über das ,wie‘ darf scharf und kritisch sein.“ Neubaur erneuerte ihr Angebot zur Investitionsförderung und sicherte zu, dass die Deindustrialisierung angesichts der Bemühungen der Branche ausbleiben werde. So unterschiedlich die Positionen auch waren, Maggioni sagte schließlich, was wohl die meisten in der Runde und am Rechner unterstreichen konnten: „Die Entscheidungen werden jetzt getroffen. Wir haben lose Brainstorming-Ideen. Da muss jetzt ein klares Konzept stehen!“